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Stefan Bruweleit: Bäslack. Heitere und satirische Geschichten.

 

Inhalt

Bäslack 7-42

Pater Bethel 43-60

Vermisst 61-72

Elegienregen 73-82

Unser Nachbar 83-102

Freunde in der Ferne 103-119

Hotel Sonnenschein 120-129

Die Kunst krimina-

listischer Beweisführung 130-140

Der Künstler 141-157

Sonntagmorgen in N. 158-183

Der Ordnungshüter 184-193

Liebeswehen 194-215

 

Zitate und Anmerkungen 216

 

 

 

 

 

Freunde in der Ferne

 

Wie lieb und teuer einem die Heimat ist, dessen wird man sich erst voll bewusst, wenn man sie auf längere Zeit zu entbehren hat. Ach, wie schwer ward mir das Herz, als ich auf dem Weg zum Bahnhof ein letztes Mal den Blick über den Hafen schweifen ließ, ein letztes Mal mit tränendem Auge durch die Straßen und Gassen ging, die mir seit den zartesten Jünglingsjahren vertraut waren.

Viel zu lange schon hatte ich die Reise aufgeschoben, immer drängender waren die Bitten meines Onkels geworden, der im Ausland sein Glück gemacht hatte und in einer geschäftlichen Obliegenheit meiner Unterstützung bedurfte. Die geschäftliche Angelegenheit versprach einigen finanziellen Vorteil für mich, den ich nur zu gerne nutzen wollte, um meine Verlobte Ophelia endlich ehelichen zu können, und so sagte ich also zu. Aber der Abschied ward mir umso schwerer, als meine Braut kurz vor der Abreise erkrankte und das Bett hüten musste. Von ihrer gewohnten Lebhaftigkeit war bald nichts mehr zu spüren, sie war blass und wirkte kraftlos. Zusammen mit ihrer alten Mutter und einer Haushälterin namens Mathilde bewohnte sie ein ansehnliches Landhaus ein Stück vor der Stadt. Beide waren sie herzensgute Menschen, aber dennoch hätte ich ein höchst ungutes Gefühl gehabt, hätte ich meine kranke Verlobte allein in ihrer Obhut wissen müssen. So war es denn eine enorme Erleichterung für mich, als mir mein alter Freund Doktor Ferdinand Erkstein zusagte, während meiner Abwesenheit regelmäßig nach der Darniederliegenden zu sehen. Wohl ist mein Freund in erster Linie Psychiater, hat aber auch eine vorzügliche allgemeinmedizinische Ausbildung genossen, und nachdem er mir versichert hatte, dass Ophelia an nichts Ernsthaftem leide, machte ich mich auf den Weg und passierte schließlich zum ersten Mal in meinem Leben die Grenze zu unserem Nachbarland.

Mein Onkel war natürlich hocherfreut, als er mich endlich in die Arme schließen durfte, und so stark mich die Geschäfte, die mich hierher geführt hatten, auch in Anspruch nahmen, so war ich doch nie ganz frei von Sorge um die in der Heimat verbliebene Ophelia. Wie groß war dann mein Entzücken, als ich nach vier Wochen einen Brief mit der vertrauten Schrift meines Freundes in Händen hielt:

 

Lieber Freund,

 

ein langer und arbeitsreicher Tag neigt sich dem Ende und endlich nun finde ich die Zeit, dir einige Zeilen zu schreiben. Wie geht es dir? Ich hoffe, du bist wohlbehalten bei deinem Onkel angekommen und deine Geschäfte laufen so, wie du es dir erhofft hast. Doch wie sollten sie das nicht tun? Bei deiner Tatkraft und einem blonden Ziel vor Augen kann doch nur gedeihen, was du in Angriff nimmst. Aber ich sehe bereits, wie du ungeduldig Zeile um Zeile überspringst auf der Suche nach dem Namen, dem allein dein Sehnen gelten dürfte. Sei ganz unbesorgt, bester Freund, deiner Ophelia geht es gut. Du kennst doch Professor van Gurgelhopf, meinen alten Lehrer, bei dem ich studiert habe. Wie der Zufall es will, weilt er gerade in unserer Stadt, und ich habe mir erlaubt, ihn im Fall deiner Ophelia zu konsultieren. Er ist ganz meiner Ansicht, dass es sich um nichts Gravierendes handele, und hat ihr eine Salbe verschrieben, die von ihm selber zusammengestellt wurde, und ihr außerdem regelmäßige heiße Bäder verordnet. Er ist wahrlich ein famoser Mann und dazu ein solch findiger Kopf. Du weißt, was für eine Kapazität er ist, und jeder Patient kann sich glücklich schätzen, wenn er sich in seiner Obhut befindet. Du brauchst also keinerlei Sorge zu tragen, dass es deiner Verlobten an irgendetwas mangeln könnte.

Auch ansonsten steht hier alles zum Besten. Ophelias Mutter ist wohlauf und auch die gute Mathilde. Von allen dreien soll ich dich herzlich grüßen, oder besser: von allen vieren, denn auch Wolfram, der Schäferhund, lässt dir die schönsten Grüße bestellen. Er scheint dich mehr noch zu vermissen als Ophelia und sich nach den Wurstenden zu verzehren, die du ihm immer mitgebracht hast. Weile also nicht mehr zu lange in der Ferne und lass bald etwas von dir hören.

Bis dahin verbleibe ich mit den wärmsten Grüßen

 

Dein Ferdinand

 

 

Ich las den Brief zweimal, ich las ihn dreimal und das Auge wurde mir feucht vor Rührung über die herzlichen Worte aus der Heimat. Ach, und welche Last wurde mir vom Herzen genommen, als ich vernahm, dass es meiner geliebten Ophelia gut gehe. Noch am selben Abend machte ich mich an ein Antwortschreiben an den treuen Freund und schickte an Ophelia auch einen Brief, dem ich noch einen Hundekuchen an Wolfram beifügte.

Die Arbeit ging mir nun viel unbeschwerter von der Hand und ich machte die besten Fortschritte. Mein Onkel war aufs Beste mit dem Fortgang der Geschäfte zufrieden und ich hoffte, schon bald genug Kapital für meine Hochzeit zusammenzuhaben. Nach drei Wochen dann erreichte mich ein weiteres Schreiben von Ferdinand:

 

Lieber Freund,

 

wie hüpfte mir das Herz vor Freude, als ich deinem Brief entnahm, dass deine Geschäfte solch vorzügliche Fortschritte machen und es dir in der Ferne so gut ergeht. Ich hoffe, auch deinem Onkel geht es gut. Richte ihm doch die besten Grüße von mir aus, denn gewiss erinnert er sich noch an mich.

Hier aus der Heimat gibt es nicht viel Neues zu berichten. Professor van Gurgelhopf ist noch hier und kümmert sich aufopfernd um deine Ophelia, der es mit jedem Tag besser geht. Die Salbe, die der Professor ihr verschrieben hat, wirkt wahre Wunder. Ich meine, ich habe in meinem letzten Brief erwähnt, dass van Gurgelhopf sie selber zusammengestellt hat. Die Hauptingredienzen sind Fledermausblut und Blutegelgedärme, die schon seit uralten Zeiten bei Anämie und Anämieähnlichem verwendet werden, wie dir gewiss bekannt ist. Du solltest sehen, wie deine Ophelia aufblüht, wenn die Salbe aufgetragen ist! Man erkennt sie gar nicht wieder, und inzwischen hat sie sich schon so weit erholt, dass sie gewiss an der Beerdigung wird teilnehmen können, zu der auch der Professor versprochen hat zu kommen. Ihre Mutter, musst du wissen, ist nämlich bedauerlicherweise verstorben. Ach ja, die Ärmste. Dir ist ja bekannt, wie schwach ihr Herz war. Gestern hat sie sich die lange Treppe ins Obergeschoss hinaufgequält, in dem Ophelias Schlafzimmer liegt, obwohl van Gurgelhopf ihr ausdrücklich solche Anstrengungen untersagt hatte. Der Professor und ich waren gerade bei Ophelia und haben ihr die Salbe einmassiert, da ist sie plötzlich zur Tür hereingekommen, und als sie uns sah, stell dir vor, da hat sie einmal kurz aufgeschrien und ist dann mausetot umgefallen. van Gurgelhopf konnte nur noch den Totenschein ausstellen. Aber da siehst du einmal mehr, was dabei herauskommt, wenn man nicht auf seinen Arzt hört. Wäre die Mutter unten im Erdgeschoss geblieben, wie ihr aufgetragen worden war, so würde sie noch unter uns weilen. Gott behüte ihre arme Seele.

So, das wäre soweit alles, was es von hier zu berichten gibt. Nun sei schön fleißig, dass wir dich bald wieder in der geliebten Heimat ans Herz drücken können. Nochmals meine besten Grüßen an den Onkel und

 

Alles Liebe

 

Dein Ferdinand

 

 

Das war natürlich ein Schock, obwohl wir natürlich ständig mit solch einem Unglück hatten rechnen müssen. Ich wusste um ihr gutes, aber eben auch schwaches Herz, o ja, und ich wusste um ihren Eigensinn, der manchmal direkt an Verbohrtheit grenzen wollte. Ach, armes altes Mütterlein, da sahst du nun, was dabei herauskommt, wenn man die Ratschläge gelehrter Männer in den Wind schlägt. Nur gut, dass wenigstens der Professor noch da war und sich in solch selbstloser Weise um meine Verlobte kümmerte und über diese schwere Zeit hinweghalf. Ich griff sogleich zur Feder und dankte ihm in den wärmsten Worten.

Wenn ich auch erleichtert war, als ich aus dem Brief erfuhr, dass die Genesung meiner Braut solch herrliche Fortschritte mache, schwebte das Schicksal der Mutter doch stets wie eine dunkle Gewitterwolke über meinem Haupt, und mit Ungeduld fieberte ich der nächsten Nachricht entgegen, die mich hoffentlich darüber in Kenntnis setzen würde, wie Ophelia mit dem schmerzlichen Verlust umgehe.

Etwa fünf Wochen musste ich warten, bis der Kurier mir die ersehnte Kunde aus der Heimat brachte:

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