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Stefan Bruweleit: Der Fluch des Grafen Olens. Eine Kriminalgeschichte der etwas anderen Art (Anfang des Romans)
 

Es gibt verschiedene Wege, wie man einem Menschen zu verstehen geben kann, dass er nicht willkommen ist. Die Abweisung kann sich ganz offenkundig im brüsken Mienenspiel des Hausherren widerspiegeln, kann aber auch auf weitaus subtilere Weise Ausdruck finden und dann ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen auf Seiten des Abgewiesenen voraussetzen. Ruft keine Person, sondern ein Gebäude einen solchen Eindruck hervor, so ist dieser zumeist der Phantasie des Betrachters zuzuschreiben, die sich aus gewissen baulichen Eigenheiten zusammenreimt, was bei nüchterner Betrachtung auch ganz anders gedeutet werden könnte. Und dennoch bin ich auch jetzt noch, da die Ereignisse, die ich hier darlegen möchte, bereits über ein Jahr zurückliegen, der festen Überzeugung, dass mir das Anwesen der zu Amentes eine Warnung zukommen lassen wollte, als ich es in einer ungemütlichen Spätsommernacht zum ersten Mal erblickte: Bis hierher und nicht weiter, mein Freund. Du bist hier nicht willkommen.

Wir hatten gerade eine alte Holzbrücke überquert, die bedenklich unter unserem Gewicht aufstöhnte, und folgten nun einer Wegbiegung nach links, als sich das Anwesen mit einem Mal vor uns auftat. Auch wenn kaum mehr als der Umriss vor dem Nachthimmel zu erkennen war und sich Einzelheiten aus der Entfernung schwer ausmachen ließen, war der Eindruck doch überwältigend. Nie zuvor hatte ich einen Ort eine dermaßen konzentrierte Feindseligkeit ausströmen spüren, die auch durch die unleugbare Majestät des Anwesens nicht gemildert, sondern vielmehr noch verstärkt wurde. Ich kann nicht ausschließen, dass mir der Anblick in der Rückschau und mit dem Wissen darüber, was folgen sollte, noch grauenhafter erscheint, als es damals der Fall gewesen war, noch wüsste ich ein Detail zu nennen, das für die Wirkung verantwortlich schrieb, an dem Grauen selber aber, das mich damals überfiel, kann es nicht den geringsten Zweifel geben.

Wir näherten uns dem Anwesen von Süden, und an der Südseite lag auch dessen Haupteingang. Der westliche Teil lag in gänzlicher Finsternis, östlich vom Eingang führte dagegen ein Gang direkt auf einen Turm zu, der den Abschluss des Anwesens bildete und dessen spitz zulaufendes Dach sich gut fünf Meter über den Rest des Gebäudes erhob. Der Gang war durch ein mattes Kerzenlicht erleuchtet, das hingegen weitgehend von dem leichten Nebel verschluckt wurde, der sich vom Fluss und dem umgebenen Moor kommend über das ganze Grundstück ausgedehnt hatte. Das einzige deutlich erkennbare Licht drang aus einem Fenster des Turmes direkt unterhalb des Daches, und aus einem mir unerfindlichen Grund war es dieses Licht vielmehr als die ansonsten vorherrschende Finsternis, das mir das größte Unbehagen bereitete. Nicht wie ein Leuchtfeuer wollte es mir scheinen, das dem nächtlichen Seefahrer den Weg in den sicheren Hafen weist, sondern vielmehr wie eins der Lichter, die in unserer Gegend an besonders tückischen Stellen im Moor aufgestellt werden, um den Wanderer zu warnen.

»Du hast ganz Recht. Auf See würde ich diesem Licht auch nicht trauen wollen.«

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aus welcher Feinheit in meinem Verhalten er auf meinen Gedankengang geschlussfolgert hatte, und ich hatte es mir bereits abgewöhnt, ihn bei vergleichbaren Situationen erstaunt anzuschauen und um Aufklärung zu bitten. Möglicherweise hätte er mich aufgeklärt, vielleicht aber auch nicht. Kann man es einem Genie, dem Induktion und Deduktion sowie jede Art der logischen Beweisführung dermaßen zur zweiten Natur geworden ist, verdenken, wenn es ihn langweilt, einem milchbärtigen Schüler die Anfangsgründe seiner Kunst zu erläutern? Ja, Sie werden es gewiss bereits erraten haben, dass neben mir kein anderer als Inspektor Kolluvies den nächtlichen Weg auf jenes Anwesen zuschritt.

Sein Ruhm hatte sich bereits damals weit über die Landesgrenzen hinaus verbreitet und seine Fälle wurden an jeder Polizeihochschule als Musterbeispiele genialischer Beweisführung gelehrt. Ich bin daher wohl der Notwendigkeit enthoben, den Mann neben mir näher vorzustellen, und brauche auch nicht den unermesslichen Nutzen hervorzuheben, der mir, der ich gerade am Anfang meiner Laufbahn stand, aus der Zusammenarbeit mit einer solchen Koryphäe seines Fachs erwuchs.

»Aber sorge dich nicht, wir sind schließlich Gäste. Das Anwesen wird das zu würdigen wissen.«

In der Tat hatten wir das Grundstück als geladene Gäste betreten. Eine dienstliche Angelegenheit hatte den Inspektor und mich nach N. geführt, das nur wenige Kilometer vom Anwesen entfernt liegt. Gerade hatten wir unser Mittagsmahl in einem der feineren Restaurants der Stadt beendet und standen gerade im Begriff zu gehen, da trat ein elegant gekleideter Herr mittleren Alters auf den Inspektor zu und schüttelte diesem überschwänglich die Hand. Aus dem Gespräch der beiden erfuhr ich, dass sie sich bereits seit Jahren kannten und offensichtlich gute Freunde waren.

»Und stellen Sie sich vor, was ich gefunden habe«, sagte der Inspektor schließlich.

»Nun machen Sie es nicht so spannend. Was haben Sie gefunden?«, erwiderte der Herr.

»Die Vita.«

»Die Vita?«

»Messmers Vita.«

Der elegant gekleidete Mann sah den Inspektor mit offenem Mund an. »Messmers Vita von Hodener? Sie belieben zu scherzen?«

»Ganz und gar nicht, werter Freund. Ich bin rein zufällig darauf gestoßen, und da Sie bei unserem letzten Treffen erwähnt hatten, wie verzweifelt Sie nach diesem Werk suchen, konnte ich die Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen.«

Bei dieser Vita handelte es sich, wie ich später erfuhr, um ein Buch, das der Inspektor allerdings nicht bei sich trug, sondern in seiner Wohnung in W. aufbewahrte. Der Mann, der nun erregt wie ein kleines Kind war, rang Kolluvies das Versprechen ab, ihn mit seinem jungen Assistenten, also mit mir, auf seinem Anwesen zu besuchen; bei dieser Gelegenheit könne er ihm dann auch das Buch aushändigen. Es war fast Wochenende und so sagte der Inspektor zu. Wir kehrten kurz nach W. zurück, um das Buch zu holen, und machten uns dann wieder auf den Weg.

Der Mann war Alfons Graf zu Amentes, auf dessen Heim ich nun mit wachsendem Unbehagen zuschritt.

Wir waren noch gut vierzig Meter vom Eingang entfernt und passierten nun eine gänzlich entlaubte Eiche, die gespenstisch ihre mächtigen Äste in den Nachthimmel streckte und wohl nur unwesentlich jünger war als das Anwesen selbst.

»Gewiss nicht wenige«, beantwortete Kolluvies die Frage, die ich mir soeben selber gestellt hatte, wie viele Opfer einer fernen Lynchjustiz nämlich wohl schon an den schweren Ästen gebaumelt haben mochten.

Endlich stiegen wir die gewaltigen Steinstufen zum Eingangstor hinauf und Kolluvies fasste den schweren Klopfer und ließ ihn dreimal auf die Messingplatte am Tor fahren. Selbst hier draußen hörte man, wie das Echo der Klopfzeichen durch die Gänge des Anwesens drang, auf eine Reaktion irgendwelcher Art warteten wir hingegen lange vergebens. Kolluvies klopfte ein weiteres Mal und schließlich hörte man aus dem östlichen Flügel sich schwere Schritte nähern. Endlich wurde das Schloss entriegelt und das Tor öffnete sich mit einem langgezogenen Quietschlaut. Eine Gestalt mit einer Kerze in der Hand trat uns entgegen und ich wich einen Schritt zurück. Wer immer der Bursche sein mochte, um Alfons Graf zu Amentes handelte es sich definitiv nicht. Er wird um die dreißig Jahre gezählt haben und trug einen schwarzen Umhang mit einem Stehkragen, der ihm fast bis zu den Ohren reichte. Mochte die Miene in ihrem feierlichen Ernst zusammen mit dem ohne Zweifel sehr kostbaren Umhang dem Mann auch eine gewisse Würde verleihen, so war die Kopfbedeckung doch dermaßen lächerlich, dass sie die ganze Erscheinung wie die schlechte Parodie auf einen Edelmann wirken ließ. Es handelte sich dabei um eine spitz nach oben zulaufende Kappe mit einem dunkelblauen Samtüberzug, die man als eine Art Zaubererhut deuten konnte oder auch als Eselsmütze, wie sie an Schulen verwendet wird. Zu allem Überfluss war an der Spitze des Hutes mit einem Faden auch noch eine Art Zipfel aus rotem Stoff befestigt, der fröhlich hin und her wippte, wann immer der Mann den Kopf bewegte.

»Sie wünschen?«, fragte er, und die Art, wie er die Frage stellte, passte weit mehr zu dem Umhang und der ehrwürdigen Miene als zu der Kopfbedeckung.

»Kolluvies«, stellte sich der Inspektor vor. »Inspektor Kolluvies. Ich möchte Herrn Alfons Graf zu Amentes sprechen.«

Soweit im Kerzenlicht zu erkennen, bewirkte die Erwähnung seines Titels eine abrupte Veränderung in der Miene des Mannes, die auch Kolluvies nicht entgangen war.

»Bitte erschrecken Sie nicht«, versuchte der Inspektor ihn zu beruhigen. »Wir sind nicht dienstlich hier. Es handelt sich um einen privaten Besuch.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Besuch gelegen kommt. Wir befinden uns in einer äußerst wichtigen Sitzung.«

Die Art, wie er sprach, legte es nahe, dass er nicht beabsichtigte, näher zu erläutern, welcher Art die Sitzung denn sei, mit der man gerade beschäftigt war, wie uns auch seine ganze Haltung zu verstehen gab, dass wir hier nicht willkommen waren.

»Vielleicht melden Sie uns ganz einfach dem Hausherrn«, erwiderte Kolluvies mit ausgesuchter Höflichkeit. »Wir werden erwartet.«

Hier nun hörte man, wie sich vom Ende des Ostflügels eine weitere Person näherte. Die Schritte klangen längst nicht so energisch wie die des Burschen vor uns, sondern eher schleppend und schleifend.

»Was dauert denn da so lange?«, rief eine ältere Männerstimme ungeduldig. »Wer ist denn da?«

Der Mann wandte sich in Richtung auf den Fragenden. »Zwei Herren begehren Einlass«, sagte er.

»Na, dann lass sie doch rein. Lass sie doch rein!«

Hier nun trat der Mann einen Schritt zur Seite und forderte uns mit einer Handbewegung auf, einzutreten. Der Inspektor nickte ihm zu und wir gingen dann an ihm vorbei in den Eingangssaal des Gebäudes. Wie der Gang so war auch dieser Bereich des Anwesens nur schwach mit einigen Kerzen erleuchtet, die in unregelmäßigen Abständen an den Wänden befestigt waren. Beherrscht wurde der Eingangssaal von einer gewaltigen Marmortreppe, die, in der Mitte sich verjüngend, sich nach oben bis auf sieben oder acht Meter verbreiterte und dann rechts und links in die beiden Gänge des Obergeschosses überging. Ich war dermaßen in die Betrachtung dieses architektonischen Meisterwerkes vertieft, dass ich ganz mein ursprüngliches Unbehagen vergaß und auch den zweiten Mann gar nicht bemerkte, der inzwischen zu uns gestoßen war.

»Da sind Sie ja, werter Anselmus«, begrüßte er den Inspektor und schüttelte ihm dann mit reichlichem Überschwang die Hand. Der recht weite Weg durch den Gang hatte ihn einigermaßen außer Atem gebracht, und nun erkannte ich, dass er ein fast identisches Kostüm trug wie der Mann, der uns das Tor geöffnet hatte, mit dem einzigen Unterschied, dass der Zipfel an seiner Mütze nicht rot war, sondern von einem schreienden Gelb, das selbst im Halbdämmer des Eingangssaales deutlich zu erkennen war.

»Sehr schön, dass Sie endlich da sind, Bruder Anselmus. Ich dachte schon, Sie würden es nicht mehr zur rechten Zeit schaffen.«

Der Mann schien über die Ankunft des Inspektors aufrichtig erfreut, und noch immer schüttelte er dessen Hand mit solcher Erregtheit, dass Kolluvies einige Male den Kopf einziehen musste, um dem nun wie wild umherschießenden Zipfel auszuweichen. Auch bei diesem Mann konnte ich lediglich sagen, dass es sich nicht um Alfons Graf zu Amentes handelte. Er war deutlich älter, musste schon um die achtzig Lenze zählen, und ich vermutete, dass wir es mit dem Vater unseres Gastgebers zu tun hatten, von dem ich wusste, dass er ebenfalls auf dem Anwesen lebte. In welchem Verhältnis er zu Kolluvies stand, das war mir hingegen völlig fremd, und mit nicht geringer Verwunderung fragte ich mich, was es mit dem Namen Anselmus auf sich haben mochte.

»Doch lasst uns gehen«, drängte er, noch immer die Hand des Inspektors haltend. »Es ist nicht mehr viel Zeit.«

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